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Einführung für den Katalog Wassermusik erschienen zur gleichnamigen Ausstellung bei OdgersBerndtson, Frankfurt, 2013

Zu den Aquarellen von Thomas Schiela

Renate Petzinger

Im Zeitalter der Neuen Medien wird gerne auf die Bedrohung traditionsreicher Kulturtechniken verwiesen. Das Internet gefährde das Buch, heißt es da. Doch noch nie haben so viel gedruckte Bücher den Markt überschwemmt, wie in den vergangenen zehn Jahren, auch und gerade hochwertig gestaltete Bände. Die Digitalkamera sei der Niedergang der Fotografie, behaupten Andere. Tatsächlich befindet sich die Fotografie als Kunstgattung auf einem bisher ungekannten Höhenflug. Namhafte Fotokünstler wenden sich ganz bewusst auch den Traditionen der Lochkamera und der analogen Bildgebung zu. Immer wieder vorhergesagt worden ist auch der Tod der Malerei. Auktionsergebnisse in Europa und Amerika sprechen eine andere Sprache und die Hitliste der 100 bedeutendsten lebenden Künstler eines bekannten Wirtschaftsmagazins wird mit Abstand von der Malerei angeführt. Jenseits kulturpessimistischer Mythenbildung ist es daher ebenso bereichernd wie aufschlussreich, sich Kunstwerken und Künstlern zuzuwenden, die an der Neuentdeckung traditioneller künstlerischer Techniken arbeiten. Ein Beispiel für eine solche Neuentdeckung sind die Aquarelle von Thomas Schiela.

Der Rückblick auf die Geschichte des Aquarells zeigt: Die Malerei mit wasserlöslichen Farben ist eine der ältesten Maltechniken, die es gibt. Ihre Tradition reicht in Europa zurück bis zur Höhlenmalerei, in Asien bis zur chinesischen Kalligraphie. An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit war es Albrecht Dürer, der dem Aquarell künstlerische Bedeutung verlieh, indem er es zu eigenen Studien und nicht nur zur Vorbereitung seiner Ölgemälde nutzte. Der bekannteste europäische Aquarellist war ohne Zweifel der Brite Joseph Mallord William Turner, dessen Landschaften vom Mittelrhein oder dessen Stadtveduten von Venedig im 18. Jahrhundert von einer bis dahin unerreichten Meisterschaft der Malerei mit Wasserfarbe künden. Etwa um die gleiche Zeit entstanden auch die unerreichten Aquarellbilder des japanischen Holzschnittmeisters Katsushika Hokusai. Weite Verbreitung fand das Aquarell im 19. Jahrhundert durch die Entwicklung der impressionistischen Freiluftmalerei und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Künstler des Expressionismus wie Paul Klee und Emil Nolde. Mit der Verbreitung in Volkshochschulkursen erhielt diese Maltechnik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber auch den Beigeschmack der scheinbar einfach erlernbaren Hobbykunst.

Weltweit rücken heute nur wenige Künstler die Technik der Aquarellmalerei ins Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit. Zu diesen wenigen gehört der 1966 in Duisburg geborene Thomas Schiela. Auf die Tradition des Aquarells stößt er zwar schon im Laufe seiner Ausbildung an der Gerrit Rietveld Akademie Amsterdam und an der Kunstakademie in Münster. Aber für den Meisterschüler bleibt die Malerei mit Wasserfarbe zunächst Nebensache. Frühe Gemälde werden mit Acryl auf Leinwand ausgeführt. Bedeutung erhält das Aquarell für Schiela erst während einer nachträgliche Ausbildung zum Grafiker und Programmierer, als eine zunächst intime und nicht für die Öffentlichkeit gedachte Fortsetzung künstlerischen Arbeitens. Im Jahre 2002 ist es für den inzwischen in Xanten lebenden Schiela eher eine dem Zufall zu dankende Überraschung, dass der dortige Kunstverein mit der Bitte an ihn herantritt kurzfristig eine Ausstellung zu realisieren. Im Anschluss an diese Ausstellung entscheidet er sich dem Aquarell von nun an ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen.

Das bedeutet vor allem: Die schnelle Malerei, alles Beiläufige völlig aufgeben und sich mit höchster handwerklicher Konzentration und Akribie der Entstehung des einzelnen Bildes widmen. Langsam werden. Sich Zeit nehmen. Herausfinden, welche Hilfsmittel – welches Trägermaterial, welche Grundierung und welche Farben – sich am ehesten dazu eignen, der neu entdeckten Technik das verborgene Geheimnis ihrer Möglichkeiten zu entreißen. Nicht auf Papier werden die Wasserfarben von Schiela nun aufgetragen, sondern auf Leinwand. Ausschließlich die nämlich ermöglicht das angestrebte große Format. Als flexibelste Grundierung erweist sich ein Gesso der Firma Lascaux, eine mineralische, elastische und alterungsbeständige Acryldispersion mit reinweißem Titandioxid. Der Lasurtechnik des Aquarellierens bietet dieser Malgrund eine saugfähige Basis. Gemalt wird mit den besten Pigmenten der von Dr. Franz Schoenfeld gegründeten Düsseldorfer Firma Lukas, bei der schon Vincent van Gogh seine Farben bezog. Lukas garantiert bei einigen Drei-Sterne-Farben eine Haltbarkeit von 400 – 500 Jahren, das entspricht der Lichtechte eines Ölgemäldes. Ausschließlich diese wertvollen Farben dürfen nun Einzug halten in Schielas Xantener Atelier, in dem es jetzt um absolute Präzision geht, um Wochen und Monate dauernde Arbeitsprozesse und um eine innere Haltung kontemplativer Ruhe. Denn anders als bei der Malerei mit Öl und Acryl sind beim Aquarell Übermalungen im Sinne nachträglicher Fehlerkorrekturen nicht möglich. Wo die Grundierung einmal mit Farbe überdeckt ist, lässt diese sich nicht mehr abnehmen.

Kennzeichen von Schielas Werk ist die Malweise des so genannten Hyperrealismus, einer der Pop Art benachbarten Kunstrichtung aus den 1960er und 1970er Jahren, die sich zeitgleich sowohl in Amerika als auch in Europa entwickelt hat. Es geht darin um eine Übersteigerung der Wirklichkeit, wie sie nur unter Zuhilfenahme der Fotografie möglich ist: So wie die Maler des Barockzeitalters sich gerne der damals bereits erfundenen Camera obscura bedienten, um ihre Gemälde überraschend detailgenau zu gestalten, so nutzen Maler wie der Amerikaner Chuck Close oder der Schweizer Franz Gertsch die heutigen Mittel der Fotografie, um ihre hyperrealistischen Bilder zu malen. Die kommentarlose Übersteigerung der Realität kann Folgen haben: hyperrealistische Bilder können verstörend wirken, sie können ironisch sein oder einfach nur schön. Das künstlerische Mittel des analytisch genauen, detailgetreuen Hinsehens kann beim Betrachter zu Begeisterung führen, aber auch zu Verblüffung und Verunsicherung.

Die Wirkung ist abhängig vom Motiv. Schiela malt Szenen aus dem Alltag, die auf merkwürdige Weise vertraut wirken, wie er selber es einmal formuliert hat.1) Da stehen Leute an einer Cocktailbar. Andere gehen segeln, feiern ihr Abitur oder treffen sich bei einem Open-Air-Festival. Es sind Menschen wie Du und ich. Sie wirken fröhlich und entspannt. Voller Lebensfreude konzentrieren sie sich auf den Sport, auf einen Tanz, auf das Zuhören, auf Gespräche oder auch mal auf gar nichts. Sie reisen gern und erkunden die Tempel von Kambodscha, die Grabeskirche in Jerusalem oder den Marktplatz von Marrakesch. Bei ihrer Darstellung geht es um Personengruppen in heutigen Alltagssituationen, aber es geht nicht um Porträts. Assoziationen zu Gruppendarstellungen aus der Kunstgeschichte sind dagegen ausdrücklich erlaubt, so etwa die Erinnerung an Raffaels Schule von Athen, in der sich die Heroen der griechischen Philosophie zum lockeren Gespräch in einem Tempel versammeln. Oder an Gemälde des Impressionismus, auf denen sich im Paris des 19. Jahrhunderts Personen beim Frühstück im Grünen oder in einem Gartenrestaurant begegnen. Schiela, der sich in der Kunstgeschichte bestens auskennt und durchaus auf sie Bezug nimmt, würde in diesem Zusammenhang außerdem auf das kompositorische Element der Zentralperspektive in der Renaissance verweisen, vor allem aber auf die Bedeutung des Lichts in den Bildern des Impressionismus.

Denn als Maler hat auch er ein vitales Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Licht. Schon immer, das wissen wir, gehörte es zu den Grundfragen der Malerei, wie sich Licht, dieses Urphänomen unseres Kosmos, dessen wissenschaftliche Erforschung heute im Zentrum der Quantenphysik steht, ins Bild bannen lässt. In der mittelalterlichen Tradition europäischer Kirchenmalerei wurde Licht durch kostbares Blattgold symbolisiert. Im 17. Jahrhundert, dem Zeitalter des Barock, entwickelten vor allem niederländische Meister eine bis dahin unbekannte Perfektion der bisweilen geradezu theatralischen Inszenierung des Lichteinfalls ins Bild. Rembrandt Harmenszoon van Rijn und Jan Vermeer van Delft sind die ungekrönten Könige dieser Disziplin. Zwei Jahrhunderte später malten die französischen Impressionisten zwar unverkennbar häufig Personengruppen, es gelang ihnen aber zugleich und hauptsächlich, auf unnachahmlich spielerisch-leichte Weise das Spiel von Licht und Schatten in den Parks und in den Gärten von Paris einzufangen. Und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es vor allem amerikanische Maler, die das Licht im Rahmen einer nunmehr abstrakten Bildsprache aus der Leinwand heraus zum Leuchten brachten.

Wie aber lassen sich die Technik der Aquarellmalerei und das Thema Licht miteinander verbinden? Die jahrhundertalte Tradition des Lichtsetzens, bei der der Maler kurz vor der Fertigstellung seines Werkes mittels eines weißen, deckenden Farbauftrags kostbare Lichteffekte erzielt, funktioniert beim Aquarell nicht. Denn die Farbpalette enthält beim Aquarell ausschließlich Buntfarben, nicht aber das Weiß. Ebenso wenig funktionieren beim Aquarell die Methoden einer Farbfeldmalerei, der es gelingt, die Leinwand durch mehrfachen flächigen Farbauftrag scheinbar von innen heraus zum Leuchten zu bringen. Auch zu diesem Farbauftrag würde Weiß gehören, aber Weiß ist beim Aquarell ausschließlich die Grundierung.

Soll es im Medium der Aquarellmalerei Lichteffekte geben, muss die Vorgehensweise daher umgekehrt sein: Weisse Farbe, die als Spiel des Lichts, als warmes Leuchten oder als farbige Brechung von Lichtstrahlen erscheinen soll, bei Schiela beispielsweise Wasserperlen auf nackter Haut, die helle Ausleuchtung einer belebten Garküche im nächtlichen Marrakesch oder die sprühende Gischt von Stromschnellen eines Wildwassers, muss im Prozess des Aquarellierens entweder völlig ausgespart werden oder sie erhält nur einen hauchdünnen Farbauftrag. Weiss im Aquarell ist ausschließlich die von jeder Übermalung frei gebliebene Grundierung, allenfalls überzogen vom leichten Hauch einer farbigen, Schatten gebenden Lasur.

Es ist der Einzug des digitalen Zeitalters in die Fotografie, der zur Präzisierung und Perfektionierung der Themas Licht in Schielas Aquarellen beiträgt. Bis zum Jahre 2007 projiziert er Kleinbilddias auf seine Leinwände, um das Abbild der zuvor fotografierten Szene in Aquarelltechnik umzusetzen. Die analoge Fotografie kennt noch nicht das Raster der einzelnen Bildpunkte und entsprechend weich sind die Farbübergänge – nicht nur im Dia selbst, sondern auch auf dem aquarellierten Bild. Die Digitalkamera, erstmals in Gebrauch genommen bei Reisen nach Marokko und Kambodscha, erzeugt nicht nur schärfere, sondern auch in einzelne Rasterpunkte aufgelöste Bilder. Licht- und Schatteneffekte, wie etwa die nächtliche Beleuchtung und der Rauch über der Garküche in Marrakesch oder das Sonnenlicht, das in einen Tempel in Angkor fällt, lassen sich dadurch deutlicher wahrnehmbar konturieren. Sie lassen sich auch mal experimentell so verschieben, dass in einer Art Doppelbelichtung bewusst unscharfe Bilder entstehen. Besonders interessant wird es offensichtlich, wenn die Digitalkamera – inzwischen noch eine weitere Generation jünger – Wasserszenen einfängt. Licht verhält sich beim Auftreffen auf Wasser anders, als beim Auftreffen auf feste Flächen: es geht durch das Wasser hindurch. Was die Digitalkamera ihm über dieses visuelle Ereignis verrät, ist für Schiela so spannend, dass er Aktricen einer Tanzgruppe anheuert, deren Aufgabe es ist, möglichst viel Wasser so in die Luft zu wirbeln, das es von der Kamera festgehalten werden kann.

In seinem Artikel Die Malerei von Thomas Schiela weist Roland Mönig bereits im Jahre 2010 darauf hin, dass der Künstler den Gegenstand im selben Maße auflöse, wie er ihn darstelle und dass es sich daher bei seinen Bildern um freie Malerei handele, die lediglich veranlasst sei durch ein fotografisches Motiv.2)

Zwei jüngere Großformate aus den Jahren 2012 und 2013 bestätigen diese Wahrnehmung. In der Imster Schlucht mit ihrer in roten Farben leuchtenden lebenslustigen Raftinggruppe auf den Stromschnellen eines Tiroler Wildwassers und im Rheinfall, der von einer kleinen mutigen Besuchergruppe auf den wasserumtosten Felsen in der Nähe von Schaffhausen bestaunt wird, berichtet uns Schiela zwar auch von diesen beiden Personengruppen. Doch hauptsächlich geht es in beiden Bildern um Wahrnehmungen des Lichts. Um Licht, das auf den Schaumkronen des Wassers tanzt, das in den Gebirgswald dringt und das sich in den roten Helmen der Rafter spiegelt. Um Licht, das durch Wasser zum Leuchten gebracht und in geradezu pointillistischer Malweise ins Bild gesetzt wird. Um Licht, das hauptsächlich aus der Ferne betrachtet sein will, das aber auch aus nächster Nähe zu überraschenden visuellen Erlebnissen führt. Und dessen Darstellung vom Glück künstlerischen Schaffens erzählt.

Wiesbaden, im Mai 2013

1) Katalog Wasser und Wiese. Thomas Schiela, Göttingen: Galerie Ahlers 2010, Seite 9 2) Roland Mönig, in: Die Malerei von Thomas Schiela. Drei Lesarten und ein P.S., ebenda, Seite 6