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„Blumen und andere Katastrophen“ Einführung zur gleichnamigen Ausstellung in der Galerie Rubrecht Contemporary, Wiesbaden

„Blumen und andere Katastrophen“, dieser Ausstellungstitel mit Aquarellen von Thomas Schiela mag zunächst einmal verwundern. Man kann sich ja durchaus fragen, was die Flora mit desaströsen Begebenheiten zu tun hat oder überhaupt zu tun haben könnte? Aber genau in dieser Polarität liegt ja die Spannung! Blumen sind im Allgemeinen schön anzusehen und sollen die Menschen bei deren Anblick erfreuen! Sie leuchten und bringen Farbe in die Welt. Sie sind durchweg positiv konnotiert. „Lasst Blumen sprechen“, ist ein altbekannter Werbeslogan. Blumen können Sprache also sogar komplett ersetzen. Wenn man etwas „Durch die Blume“ sagt, dann wählt man milde Worte, sagt es verhüllend, andeutend und umschreibend. Die Sprache wird mit „Redeblumen“ geziert. Schon in der Antike wurde das lateinische Wort flosculus, was Blümchen bedeutet, zur Bezeichnung des Zierrats in der Rede gebraucht. Flosculus wurde schließlich im 17. Jahrhundert zu „Floskel“ eingedeutscht! Die Katastrophe hingegen ist laut Lexikon ein folgenschweres Unglück, etwas, was nach landläufiger Vorstellung über uns hereinbricht oder aber durch menschliches Versagen ausgelöst wird. In früheren Zeiten wurde die Verantwortung für die Katastrophe den Sternen zugeschrieben, genauer: den Planeten. Man glaubte, dass sie die Erde umkreisen und dabei manchmal eine verhängnisvolle Konstellation einnehmen, bei der eine bestimmte gänzliche Umdrehung, Wendung oder Umkehr (griechisch katastrophé) auf die irdischen Verhältnisse so einwirkt, dass sie sich im Positiven oder Negativen verändern. Aber zunächst zurück zu den Blumen. Mit der Blumenthematik begibt sich Thomas Schiela auf ein breites kunsthistorisches Feld. In der christlichen Ikonographie stehen gleich mehrere Blumen für Maria, die Mutter Jesu Christi. Es sind unter anderen die Akelei, die Erdbeere, die Lilie, aber auch die Pfingstrose, auch „Rose ohne Dornen“ genannt. Blumen sind darüber hinaus auch ein Vanitassymbol, stehen also für die Vergänglichkeit. Die Vanitas meinte nach antik-lateinischem Sprachverständnis zunächst die Eitelkeit und implizierte zugleich die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge. Die Blumen also wachsen, blühen und vergehen schließlich, wie das Leben im Allgemeinen auch. Wenn holländische Maler im 17. Jahrhundert prachtvolle Blumenstillleben schufen, so war die Botschaft dieser Bilder an die Betrachtenden eindeutig. Auf dem „Stillleben mit Blumen und Glasvase“ von Jan Bruegel d. Ä. findet man folgende Inschrift am unteren Bildrand „Was blickt ihr auf die Blumen, die so schön vor euch stehen / Und durch der Sonne Kraft doch allzu schnell vergehen / Habt Acht auf Gottes Wort allein, das ewig blüht / Worin verwandelt sich der Rest der Welt: in Nichts.“ Bereits in der Bibel heißt es in Bezug auf den Menschen: „Wie eine Blüte ist er hervorgekommen und wird abgeschnitten, und er enteilt wie der Schatten und bleibt nicht bestehen.“ Blumen waren, und sie sind es im Grunde ja noch immer, ein klassisches Beispiel für ein Memento Mori – die Mahnung an die Endlichkeit allen Lebens. Bevor ich auf die Motive hier in der Ausstellung näher eingehe, ist es ganz wichtig, die Grundlage dieser Aquarelle zu erwähnen: es sind nämlich Fotos, die der Künstler selbst macht oder die er per Screenshot am PC erzeugt. Thomas Schiela interessiert sich nach eigener Aussage für den „industriellen und seriellen Charakter, der entsteht, wenn er auf dem Wochenmarkt die Blumen so fotografiert, wie sie dort präsentiert werden.“ Es gehört zu seiner Arbeitsweise, durch Wiederholung von Ähnlichem etwas Musterhaftes zu erzeugen. Dies gilt auch für seine Blumenmotive. Er zeige bewusst keine einzelne Pflanze und er achte darauf, dass die Töpfe oder Plastikdisplays, in denen diese stünden, nicht zu sehen seien. Die industrielle Produktion und Präsentation werde von ihm dargestellt, ohne das Plastik zu betonen. Das Werk „Hornveilchen“ hat für den Künstler etwas von einem Gruppenporträt. An der Fotovorlage reizten ihn die unscharfen Partien im Vordergrund unten und im Hintergrund am oberen Bildrand. Dies alles gilt es ja, ins Malerische zu übertragen. Thomas Schiela über seine Motive: „Ich versuche immer, Motive zu wählen, welche für den Rezipienten verschiedene Zugänge anbieten. Einfach nur Ästhetik, klassische Kompositionen, kleine Zitate aus der Kunstgeschichte, farbliche Reize oder persönliche Bezüge zum Motiv.“ Kommen wir zum zweiten Themenkreis dieser Ausstellung, den Katastrophen. Thomas Schiela suchte gezielt nach Waldbränden und er stieß vor allem auf Nachrichtenfilme aus Kalifornien. Als Vorlage dienen ihm Screenshots dieser Filme. Bewusst lässt der Künstler zumeist die Logos der Sender und Quellen im Bild. Diese screenshots haben eine eindeutig schlechtere Bildqualität als die selbst fotografierten Blumen. „Natürlich“ so Schiela „sehen wir so etwas meist nur in den Nachrichten, schauen es uns gerne mit einem gewissen Schauern an. Mal kurz mitleiden und sich selbst sicher fühlen in den eigenen vier Wänden.“ Hier spricht er also den Hang des Menschen zu Voyeurismus, auch und gerade im Hinblick auf das Schicksal Anderer, an. Es ist ein weit verbreitetes Übel, wie wir es beispielsweise von Gaffern bei Unfällen auf der Autobahn kennen. Die Beschäftigung mit Katastrophen brachte es mit sich, dass Thomas Schiela ausnahmsweise keine eigenen Fotos verwendet. Aber die Bildschirmfotos sind ja auch bewusst gewählt. Auch dabei gilt es ja, den richtigen Augenblick in den Filmen zu finden. „Wie immer“, so betont er „male ich die Eigenheiten der Fotos mit.“ Das betrifft zum Einen natürlich die speziellen Farben, aber auch Bildunregelmäßigkeiten, wie horizontale und vertikale Schlieren, die, wie in „California burns II“, durch starke Datenreduzierung im MPEG4 Verfahren entstehen. Das gilt im Übrigen auch für das Bild „X-Press Pearl vor Sri Lanka“, das 2021 entstand und das erste „Katastrophenbild“ des Künstlers überhaupt ist. Thomas Schiela stieß auf den Film, in dem über das Unglück berichtet wurde, und sah „direkt eine ästhetische Qualität in dem Motiv, die traurige Geschichte ignorierend, nur auf Komposition und die Farben achtend.“ Ihn faszinierte eine wackelige und stark reduzierte Aufnahme aus einem Hubschrauber am Havarieort vor Sri Lanka. Das Containerschiff sollte, so erzählt Schiela, von einer niederländischen Spezialfirma auf die offene See geschleppt werden. Das ganze Unternehmen wurde von Sri Lanka bezahlt, die so eine Umweltkatastrophe vor ihrer Küste verhindern wollten. Die Mission scheiterte, wie man auf dem Bild „X-Press Pearl auf Grund vor Sri Lanka“ erkennen kann. Sie schleppten das Schiff aus Versehen auf eine Sandbank. Wie es weiterging weiß Thomas Schiela nicht. Die Schnelllebigkeit der Nachrichten verhinderte eine weitere Verfolgung dieses Dramas auf See. Blumen und andere Katastrophen: Für ihn ist es „reizvoll, diese beiden Themen gemeinsam zu zeigen. Wie wir alle Nachrichten gucken, und uns gerne mit schönen Dingen umgeben. Wie wir gerne bei einem Glas Wein darüber diskutieren, wie wir uns bemühen die Umwelt zu schonen. Uns das eigene Handeln schönreden. Denn was bleibt uns anderes über. Jeder Mitteleuropäer verbraucht zu viel Ressourcen. „Auch ich möchte angenehm leben“, so Schiela weiter, „und um Geld zu verdienen, verwende ich eine Menge Material und Energie um erfolgreich handeln zu können. Und dann kann ich mir etwas gönnen. Für mich gerne in der dunklen Jahreszeit ein Blumenstrauß auf dem 3 Meter Eichenküchentisch, und mit Freunden einen immer seltener werdenden Seeteufel mit eingeflogenem Gemüse geniessen.“ Thomas Schiela gesteht also offen den Konflikt ein, in dem wir alle uns mehr oder weniger befinden. Wer übt schon wirklich Konsumverzicht? Wer fliegt oder fährt wirklich nicht mehr in den Urlaub? Wir alle wissen, oder zumindest eine große Mehrheit weiß, um die Gefahren des Klimawandels, der längst lebensbedrohende Realität geworden ist. Aber sich von seinem Lebensstandard, von den liebgewonnenen Gewohnheiten zu verabschieden, das ist ein schmerzlicher und wohl auch langwieriger Prozess über eine längere Zeit, die wir aber nicht mehr haben. Alles immer zur Verfügung zu haben, das ist, so glaube ich, ein Umstand, von dem wir uns verabschieden werden müssen und das umgehend! Eine Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren, die sich mir bei der Vorbereitung dieser Rede aufdrängte, war natürlich nach dem Warum? Warum Thomas Schiela eigene Fotos oder screenshots überhaupt abmalt und das auch noch oft im großen Format? „Indem ich Fotos male“ so der Künstler,“ thematisiere ich das Medium selbst. Unseren heutigen geradezu ungezügelten Bilderkonsum, in Nachrichtensendungen im TV, in Zeitungen und Zeitschriften, Bildbänden, und in jüngster Zeit immer schneller online in sozialen Medien wie Facebook, Instagram, oder Pinterest. Fast als würde ich den Fluss abbremsen wollen.“ Schiela differenziert zwischen dem Fotorealismus der 1970er Jahre, dessen Ergebnisse oft sogar schöner gewesen seien als die Fotovorlage, und seinen Werken, die, wie vorhin schon erwähnt, alle Fehler, wie Farbverschiebungen, Unschärfen oder Verwackelungen zeigen. Aber genau diese Aspekte nutzt er nach eigener Aussage als gestalterisches Element. „All diese Eigenheiten“ so der Künstler, „werden so zum Thema. Der Betrachter fängt an, über diese Fehler auf der Leinwand nachzudenken. Kann das so sein? War das so auf der Vorlage? Und langsam verschieben sich die Gedanken vom im Foto Abgebildeten zu der Art der Abbildung.“ Nach seiner Überzeugung würde das eigentliche Foto viel unkritischer und schneller konsumiert werden, als dies bei der Beschäftigung mit dem Aquarell der Fall ist. Die Betrachtenden würden geradezu eingeladen, sich einzelnen kleinen Ausschnitten zu widmen, und genau dies unterscheide ja die Malerei von der Vorlage. Mit der Ausstellung „Blumen und andere Katastrophen“ verdeutlicht Thomas Schiela uns, dass alles mit Allem zusammenhängt. Dass intensive industrielle Landwirtschaft, in Teilen der Welt immer noch zunehmende Industrialisierung, Waldbrände oder Umweltzerstörung durch Schiffshavarien nur eine Seite der Medaille sind, auf deren Rückseite sich der Konsum der westlichen Welt, oder besser vornehmlich der nördlichen Halbkugel unseres Planeten, befindet. So gesehen sind eben auch Blumen, im Kontext der Massenproduktion und des dann folgenden, umweltbelastenden Transports, eben Katastrophen. Neben dieser Botschaft geht es, wie dargelegt, um die Medien Fotografie/Film auf der einen Seite und um Malerei auf der anderen Seite. Es geht um die Transformation und damit verbunden um die Verschiebung der Rezeptionsgewohnheiten vom schnellen Konsum der Fotos hin zur intensiven Auseinandersetzung mit jedem seiner fantastischen und darüber hinaus auch noch auf Leinwand! gemalten Aquarelle. Dazu, liebe Zuhörende, haben Sie jetzt Gelegenheit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Reiner Meyer, Regensburg

Quellenangaben folgen noch.